Der Kamerasucher im Fokus
Der Sucher ist eine der am meisten unterschätzten Komponenten einer Kamera. Dabei beeinflusst dieses High-Tech-Bauteil entscheidend die Art und Weise wie wir fotografieren. In den über 175 Jahren der Fotografie hat er sich von der Mattscheibe mit einer auf dem Kopf stehenden, seitenverkehrten Projektion zu einem elektronischen Präzisionswerkzeug entwickelt, das nahezu perfekt schon vor dem Auslösen das zu erwartende Ergebnis zeigt.
Ein kleiner Rückblick
Etliche erinnern sich noch an jene Bilder, auf denen ein Fotograf hinter der Kamera verborgen unter einem schwarzen Tuch, die vorbereitenden Einstellungen für sein Foto vornahm. Noch heute gibt es Fachkameras, bei denen die Ausschnittbeurteilung auf der rückseitigen Mattscheibe der Kamera vorgenommen wird, bevor diese dann durch das Aufnahmemedium, sei es nun ein Film, lichtempfindliches Papier oder ein Bildsensor, ersetzt wird.
Bevor über Jahrzehnte dann schließlich der Spiegelreflexsucher die Fotografie dominierte, erleichterten doppeläugige Reflexkameras, die ebenfalls den Bildausschnitt seitenverkehrt und kopfstehend zeigten oder sogenannte Sucherkameras, die den Bildausschnitt durch ein zweites, in der Kamera integriertes System zeigten, das Bildermachen. Vor allem zwei Dinge erschwerten dabei die präzise Wahl des gewünschten Bildausschnitts: Die Beurteilung des seitenverkehrten, kopfstehenden Bildes war zumindest gewöhnungsbedürftig und die Parallaxe der beiden parallelen Bildprojektionen von Sucher und Objektiv waren nicht ganz deckungsgleich. Das erklärt auch den über viele Generationen andauernden Erfolg der Spiegelreflexkameras, die erstmals mehr oder weniger perfekt ein aufrechtstehendes, seitenrichtiges Sucherbild zeigten. Dieses beliebte System, das wirklich darstellte, was nach dem Hochklappen des Spiegels schließlich vom Aufnahmemedium, sprich Film oder Bildsensor erfasst wird, steht heute auf dem Höhepunkt seines Lebenszyklus. Fast alle Nachteile, die dieses komplexe Suchersystem aus Spiegelkasten und Pentaprisma anfangs auch zu beklagen hatte, haben findige Konstrukteure bis heute überwinden können.
Der Spiegelreflexsucher
Das zunächst eher dunkle Sucherbild, das die Scharfstellung und die Beurteilung des Bildausschnitts erschwerte, wurde durch die Möglichkeiten der Offenblendenmessung und den Siegeszug der immer lichtstärker werdenden Objektive überwunden. Der Einblick am Okular wurde größer gestaltet, so dass auch Brillenträger das Sucherbild komfortabel überschauen konnten und eine Dioptrien-Einstellung ermöglicht sogar die Anpassung des Suchers an die individuelle Sehstärke. Hinzu kam die Möglichkeit, alle relevanten Einstellungen, der Kamera für eine Aufnahme am Rande des Sucherbildes einblenden zu können, so dass dem Fotografen alle aufnahmerelevanten Parameter stets zur Verfügung stehen. Weitere Perfektionierungen betreffen die Augensteuerung der AF-Punkte, die komfortable Größe der Eintrittspupille und vor dem Zeitalter der Autofokussteuerung, die Integration des Schnittbildentfernungsmessers.
Revolution der Sucherkonstruktion – der elektronische Sucher
Während die analogen Kleinbildspiegelreflexkameras den Einblick in Augenhöhe bieten, war dieser bei den Mittelformatkameras von oben. Beides bewirkt eine jeweils völlig unterschiedliche Art des Fotografierens, die in den letzten zehn Jahren mit dem Siegeszug der Smartphones und der gleichzeitigen Einführung der Live-Viewanzeige auf den Displays der digitalen Kameras, nochmals eine Revolution der Sucherkonstruktion einläutete. Statt des optischen Spiegelreflexsuchers integrierten die Kamerahersteller einen elektronischen Sucher, der das Bild des Kamerasensors wiedergibt. Auch hier waren zunächst zahlreiche Hürden zu nehmen, um diese Form der Bestimmung des Bildausschnitts durchzusetzen. Das liegt nicht zuletzt an der ausgereiften Technik der Spiegelreflexsucher, an deren Handhabung sich Generationen von Fotografen gewöhnt haben. Auflösung und Bildwiederholraten der elektronischen Sucher ließen anfangs zu wünschen übrig. Das Flimmern störte bei der Aufnahme schnell bewegter Objekte. Die Auslöseverzögerung war ein Problem. Im Zeitalter von 4K und mehr sind auch diese Probleme weitgehend ausgereift. Der elektronischen Sucher moderner Premium Kameras bieten Auflösungen mit mehr als 3,6 Millionen Bildpunkten. Elektronische Sucher müssen nicht starr sein, sondern erlauben durch Hochklappen auch den komfortablen Einblick aus der Frosch oder Vogelperspektive. Kameras der allerjüngsten Generation gestatten sogar die Einflussnahme der Anwender auf die Suchervergrößerung, was sich beim Wechsel von Weitwinkel- zu Telemotiven als ausgesprochen komfortabel erweisen kann.
Fazit
Bewegliche hochauflösende Displays und elektronische Sucher haben die Art und Weise verändert, wie Menschen heute fotografieren. Beide Bauteile ermöglichen nicht nur eine einfachere Wahl des optimalen Bildausschnitts und erleichtern zudem Aufnahmen aus ungewöhnlichen Perspektiven, sie zeigen auf Wunsch auch das zu erwartende Ergebnis schon vor dem Druck auf den Auslöser. Damit tragen beide nicht zuletzt auch zu einer Verbesserung der durchschnittlichen Bildqualität bei, sodass der Sucher zum „Finder“ wird, wie es die englische Bezeichnung für dieses Kameramodul es ja seit jeher suggeriert.